Bomberabsturz

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20. Dezember 1943, 16.45 Uhr. Auf dem britischen Flugplatz Elvington in der Grafshaft York startet das Royal Air Force Bomber Command No. 77 mit 22 Flugzeugen vom Typ Handley Page Halifax LL121 in Richtung des deutschen Rhein-Main-Gebiets. Nachdem es am frühen Abend seine Bomben im Raum Offenbach/Main abgeworfen hat, dreht es zum Rückflug nach Norden ab.

Für eine der am Einsatz beteiligten Maschinen endet der Flug nördlich von Limburg: Luftwaffen-Oberleutnant Paul Zorner greift mit seiner Messerschmitt Bf 110 des deutschen 3. Nachtjagdgeschwaders die letzte Maschine des britischen Geschwaders an. Die britische Halifax wird um 20.02 Uhr in 5400 Metern Höhe in die Flächentanks und einen der beiden rechten Motoren getroffen und stürzt ab. Die Steinbacher sehen, wie die Maschine brennend mit einem lauten Heulen über den Spitzberg nördlich des Dorfes zieht und hören den Aufschlag weiter nördlich. Das Flugzeug zerschellt an der Straße von Hintermeilingen nach Ellar, rund 300 Meter entfernt vom Ortsausgang Hintermeilingen.

Der Pilot kommt im Wrack der Halifax um. Die übrigen Besatzungsmitglieder können sich mit Fallschirmen retten. Neville Short landet nahe der Schlagmühle bei Hintermeilingen und wird dort vom stellvertretenden Feuerwehrkommandanten Emil Jeuck arrestiert. Charlie Quine kommt in Lahr herunter. Der Heckschütze Alf Restarick, der am Fallschirm hängend seine Maschine am Boden zerschellen sieht, landet im Feld an der Obertiefenbacher Straße am östlichen Ortsrand von Steinbach.

Durch die befohlene Verdunkelung der Häuser fällt dem Neunzehnjährigen Restarick zunächst die Orientierung schwer. Er klopft bei Maria Schlitt an, die im letzten Haus am Ortsrand wohnt. Sie läuft erschrocken und hilfesuchend zur Nachbarin Maria Gräf. Restarick deutet auf die Abzeichen auf seiner Uniform und gibt sich als Angehöriger der Royal Air Force zu erkennen.

Die Steinbacher bringen den Briten zum Bürgermeister Georg Klein. Dort bekommt er Kaffee und eine Zigarette; Theresia Klein, die Frau des Bürgermeisters, macht ihm ein Schinkenbrot. Neville Short und Alf Restarick werden bald danach nach Limburg gebracht und dort in eine Gefängniszelle gesperrt. Das Kriegsende erlebt Alf Restarick im Kriegsgefangenenlager STA-LAG IVB in Mühlberg an der Elbe.

Der tödliche verunglückte Pilot, Sergeant Howard, wird zunächst in Hintermeilingen beigesetzt und erst Jahre später in die Heimat umgebettet. Nach einer anderen Quelle findet sich sein Grab auf dem Hanover War Cemetery nahe der deutschen Stadt Seelze. (Berichte über ein weiteres, tödlich verletztes Besatzungsmitglied sind nicht gesichert.)

Auf der Webseite des britischen 77. Squadron findet sich der Einsatzbericht in den Operational Record Books (ORBs). Dort heißt es nur knapp: "This aircraft failed to return from this operation."

Vermerk der Royal Air Force über den Verlust des Bombers
Vermerk der Royal Air Force über den Einsatz. Der Pilot des Bombers, Sergeant Howard, ist als "Missing" eingetragen.

Aufarbeitung

Der Offenbacher Eugen Lux forschte viele Jahre intensiv über die Offenbacher Bombennächte und fand nach und nach viele der damals beteiligten Personen wieder. Insbesondere stieß er im britischen Wellingborough auf Alf Restarick. 1977 traf man sich dann in Steinbach und Hintermeilingen.

Der Geselle der Bäckerei May in Hintermeilingen hatte damals ein Stück Aluminiumblech aus dem Rumpf der abgestürzten Maschine gefunden und daraus kurzerhand zwei Teigschaber gemacht, die er von da an in der Backstube verwendete. Einer dieser Schaber war erhalten geblieben. Heinrich May, Sohn aus jener Bäckerei, übergab Alf Restarick diese Reminiszenz des Unglücks bei dessen Besuch in Hintermeilingen 1977. Heinrich May bemerkte dazu scherzhaft, dass dieses Blech in seiner zweiten Verwendung fast 40 Jahre lang einem friedlichen Zweck gedient hatte.

Der nahe der Schlagmühle festgenommene Neville Short besuchte diesen Ort im Jahre 1980.

Eugen Lux und Alf Restarick standen auch danach noch lange in Kontakt zu Bürgern von Hintermeilingen und Steinbach.

Paul Zorner

"Paul Zorner, als Sohn eines Lehrers am 31. März 1920 im oberschlesischen Leoben geboren, trat 1938 als Offiziersanwärter in die Luftwaffe ein. Über Verwendungen als Fluglehrer und Transportflieger kam er Ende 1941 zur Nachtjagd. Er führte drei verschiedene Staffeln des NJG 3, bevor er die III./NJG 5 übernahm, mit der er über dem Deutschen Reich und während der alliierten Invasion über Frankreich eingesetzt wurde. Bei Kriegsende war er Major, Kommandeur der II./NJG 100 und Träger des Eichenlaubs zum Ritterkreuz. Seine 59 Luftsiege bei Nacht erzielte er auf lediglich 101 Feindflügen. Im Mai 1945 geriet er bei Prag in sowjetische Gefangenschaft. Nach erfolgreichen Jahrzehnten im Management eines großen deutschen Chemiekonzerns lebt der Autor heute im Saarland. Er ist Ehrenbürger der polnischen Stadt Renska Wies in seiner früheren schlesischen Heimat und wurde für seine Verdienste um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen 2006 auf polnische Initiative mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Paul Zorner verstarb am 27.01.2014 in Homburg/Saar."[1]

Über Paul Zorner gibt es einen Artikel bei Wikipedia. Seine Erinnerungen an die Zeit als Jagdpilot hat er 2007 in seinem Buch „Nächte im Bomberstrom. Erinnerungen 1920–1950.“ festgehalten.[2] Das Ereignis bei Steinbach / Hintermeilingen ist darin auf Seite 21 bechrieben.

Quellen

Zu dem vorliegenden Artikel haben mit Materialien und Zeitzeugenberichten beigetragen: Dr. Heinrich May (Hintermeilingen), Hildegard Keller, geb. Klein (Steinbach), Hansgünther Bausch († 2021, Steinbach).